Eine neue Art „Digital Devide“ geht quer durch Europa. Frankreich, England und weitere Staaten setzen mit der Verpflichtung auf ODF deutliche Zeichen Richtung Open Source. Die deutsche IT-Politik gönnt sich den Luxus im proprietären Gestern zu verharren.

Von Ludger Schmitz*
„Bedeutende europäische Staaten setzen bereits seit Jahren sehr erfolgreich weitreichende Open-Source-Strategien um“, konstatiert die Open Source Business Alliance in einer Stellungnahme zur Digitalen Agenda der Bundesregierung. Die OSB Alliance verweist auf Beispiele aus Frankreich, Schweden, Spanien, Portugal, Italien und Großbritannien. Die Erklärung mahnt: „Deutschland befindet sich hier bereits erheblich im Hintertreffen und wird den Anschluss verlieren, wenn nicht bald eine umfangreiche Open-Source-Strategie entwickelt und umgesetzt wird.“

Davon ist, wie zu erwarten, keine Spur. Hierzulande sind Open-Source-Projekte in der öffentlichen Verwaltung eher auf der Kippe. Dass selbst das erfolgreiche Münchener Open-Source-Projekt „Limux“in Gefahr ist, war in diesem Blog schon mehrmals das Thema (siehe unter anderem hier und hier). Andernorts, zum Beispiel in Dortmund, müssen schon Initiativen lautstark werden, damit die kommunalen IT-Verantwortlichen überhaupt auf die Idee kommt, dass es auch jenseits der Server Alternativen zu teuren proprietären Produkten geben könnte. Und dann werden wie in Hamburg Bedenken vorgeschoben, jawohl, vorgeschoben: Man könne ja nicht wissen, wie viel es kosten könnte, wenn das Projekt scheitern sollte. Konjunktiv, Konjunktiv, Konjunktiv, statt Indikativ Präsenz ist die Sprache bequemer Bräsigkeit.Hierzulande sonnen sich die Bedenkenträger im Glück, dass die Politik von Berlin bis zu den Landeshauptstädten in Bewegungsstarre verfallen ist. In anderen europäischen Staaten müssen sie ran. Jüngster Fall: Die französische Regierung will der öffentlichen Verwaltung das Open Document Format (ODF) als gängiges Dokumentenformat vorschreiben. Daneben wird Microsofts Office Open XML (OOXML) nur noch übergangsweise akzeptiert. Mehr dazu hier.Das hätte mehrere Folgen:
OOXML verschwindet ein Stück weiter von der Bildfläche. Das verwundert nicht, zumal es ohnehin niemand benutzt. Denn Microsoft hat es nicht einmal geschafft, den mit unsauberen Methoden durchgedrückten ISO-Standard in den verschiedenen Office-Versionen einheitlich zu implementieren. Über dieses Chaos hat Markus Feilner vom Linux-Magazin eine aufschlussreiche Studie verfasst. Letztlich wird der IT in Frankreichs öffentlicher Verwaltung nicht anderes übrig bleiben, als LibreOffice oder OpenOffice statt MS Office zu verwenden. Denn diese Büropakete erfüllen den ODF-Standard.Ergo hat Microsoft zwei Optionen:

  • Erstens könnte es ODF in den Office-Versionen implementieren.
  • Zweitens könnte es in Frankreich eine riesige Lobby-Kampagne aufziehen, um die Vorgabe der Regierung zu verhindern oder zumindest abzuschwächen.

Mit Lobbyismus kennt sich Microsoft ohnehin besser aus als mit ODF. Man darf schon jetzt gespannt sein, was da eines Tages noch ans Licht der Öffentlichkeit gerät.

Das Dumme ist, jedenfalls aus Microsoft-Sicht, zur Zeit gleich in mehreren Ländern Europas mit dem Rücken zur Wand kämpfen zu müssen. Der härteste Brocken ist ausgerechnet Großbritannien, dessen Regierung lange Zeit überhaupt nichts von Open Source hielt. Ausgerechnet dort ist seit einem Jahr in der öffentlichen Verwaltung ODF neben PDF/A und HTML 5 vorgeschrieben.

Weitere Beispiele:
In Italien dürfen Behörden seit August 2012 proprietären Software nur noch dann in Lizenz nehmen, wenn sie funktional nicht durch Open Source zu ersetzen ist.
In Spanien sind es vor allem die Provinzen Baskenland, Andalusien und Estremadura, die massiv auf Open Source setzen – und vor allem MS Office entsorgen.
In Portugal geht die Politik noch weiter und hat explizit benannt, dass nicht nur bei Office-Anwendungen vorzugsweise Open Source eingesetzt werden soll. Die Vorgabe gilt hier auch für E-Mail-Lösungen, Portale, Dokumentenverwaltung und Systemmanagement.

Aus Berlin aber hieß es immer wieder, man wolle Vorgaben der EU nicht vorgreifen. In Brüssel und Straßburg haben die Lobbyisten momentan eh Vollbeschäftigung, um eine Vorgabe des Europa-Parlaments zu verhindern. Für ihre interne IT hat sich die Europa-Behörde inzwischen klar für Open Source entschieden. Das dürfte in Berlin bekannt sein. Ein Grund zur Annahme, die Regierung Merkel würde Informationen verarbeiten, besteht nicht.

*Ludger Schmitz ist freiberuflicher Journalist in Kelheim.